Ein Erfahrungsbericht zur wechselhaften Geschichte eines Entwicklungs-Standortes, verfasst von Manfred Ender:


GSM 1991: Eine mehr als spannende Zeit

Diese kurze Geschichte möchte ich aus meiner persönlichen Sicht schildern. Im Juni 1987 bin ich in die AEG Mobile Communicaton GmbH (AMC) eingetreten und war dort am Aufbau des Bereiches Neue Technologien beteiligt. Zu diesem Bereich gehörte unter anderem die digitale Mobilfunktechnik. Zum damaligen Zeitpunkt sind gerade die wesentlichen Parameter des europaweiten GSM-Standards auf einem CEPT-Meeting in Madeira verabschiedet worden. 1990 erfolgte dann das Einfrieren der sogenannten Spezifikation der GSM Phase 1 vom ETSI Technical Committee. Damit war die Basis für die heutigen Smartphones gelegt. Zum damaligen Zeitpunkt hat sich wohl kaum jemand vorstellen können, wie sich der Markt und die Technik entwickeln würden.

Im Jahr 1990 begannen wir am Standort Ulm mit der Entwicklung unseres ersten Autotelefons nach diesem neuen Standard. Ein sehr anspruchsvolles Teilziel des Projekts war es, auf der für die GSM-Technologie sehr wichtigen im Oktober 1991 stattfindenden 6th World Telecommunication Exhibition and Forum in Genf einen Prototypen unseres Gerätes vorstellen zu können. Ob wir dieses Zeitziel erreichen konnten war keinesfalls sicher. Wir hatten zwar ein junges und hochmotiviertes Team, aber die zu implementierenden Algorithmen der digitalen Signalverarbeitung sowie die Kommunikationsprotokolle waren nicht nur neu und sehr komplex, sondern gleichzeitig musste sicher gestellt werden, dass der Energieverbrauch des Gerätes gering blieb. Zudem standen zum Testen weder eine GSM-Infrastruktur zur Verfügung noch waren die verfügbaren Netzwerksimulatoren wirklich ausgereift, da auch diese selbst von den entsprechenden Firmen erst parallel mit entwickelt wurden. Über die Hochfrequenztechnik und den Geräteaufbau mussten wir uns glücklicherweise nicht so viele Sorgen machen, da wir hier auf Vorprojekte zurückgreifen und uns auf Teams mit jahrelanger Erfahrung verlassen konnten.

Im gleichen Zeitraum entschied sich das Management des Mutterkonzerns dafür, einen Käufer für die AMC zu suchen. Der Hintergrund hierfür war, dass die AMC nicht die nötige kritische Größe besessen hat, um langfristig wettbewerbsfähig zu sein. So wurde die AMC 1991 ein Tochterunternehmen der französischen Matra Communications S.A. , die auf diese Weise unter anderem Zugang zum deutschen PMR-Markt (Private Mobile Radio = nicht-öffentlicher beweglicher Landfunk, Link Bundesnetzagentur) erhielt. Im französischen Telekommunikationsmarkt war die Matra Communications S.A. zu dieser Zeit ein bereits sehr gut etabliertes Unternehmen.

Unsere Mitarbeiter beunruhigte nun nicht nur der stattfindende Betriebsübergang als solcher, sondern auch die Tatsache, dass der neue Mutterkonzern eine eigene Entwicklungsmannschaft für Telefone nach dem GSM-Standard besaß. Wie in solchen Fällen üblich wurden das GSM-Projekt und unsere technische Lösung mehrfach von unseren neuen Kollegen analysiert und bewertet. Insbesondere äußerten sie erhebliche Zweifel, ob der von uns gewählte Ansatz zur digitalen Signalverarbeitung den Weg in eine kostengünstige 1-Prozessor-Lösung erlauben würde, den wir dem neuen Management gegenüber aufgezeigt hatten. Ebenso hielten sie den Zeitplan für so gut wie nicht einhaltbar. Es fanden nun regelmäßige Managementreviews mit dem Management unseres neuen Mutterkonzerns statt, in denen ich neben den üblichen Themen auch zu berichten hatte, welche Fortschritte das Projekt machte. Dies verdeutlichte, dass das Zeitziel zur 6th World Telecommunication Exhibition and Forum in Genf einen funktionsfähigen Prototypen zu haben von immenser Bedeutung für die zukünftige Rolle des Standortes im Mutterkonzern sein würde.

 

Uns war klar, dass die Zeit sehr knapp werden würde. Deshalb bereiteten wir eine Art Werkstattwagen vor, den wir in der Nähe von Genf auf einem Bauernhof unterbrachten, um noch vor Ort etwaig notwendige Anpassungen vornehmen zu können. Diese Vorsichtsmaßnahme sollte sich auch als notwendig erweisen, denn am Tag vor der Messe war es uns noch immer nicht gelungen eine Gesprächsverbindung zwischen unserem Mobilgerät und den bei uns vorhandenen Netzwerksimulatoren aufzubauen. Nach langen Fehleranalysen kamen unsere Protokollexperten in der Nacht vor Beginn der Messe zu der Überzeugung, dass unser Mobilgerät sich korrekt verhält und der Fehler im Netzwerksimulator liegen müsste. Uns blieb also nur die Honung, dass ein Gesprächsaufbau in einem realen Netz, wie es auf dem Messegelände extra aufgebaut worden war, funktionieren würde. Also programmierten wir die Speicherbausteine für unser Mobilgerät und ich brachte sie sicher verpackt morgens um ca. 3:30Uhr zu einem unser damaligen Geschäftsführer, der sie im frühen Flieger mit nach Genf nahm. Im Werkstattwagen auf dem Bauernhof bei Genf programmierte dann ein Team morgens die Geräte für die Messe und konnte den entscheidenden Test durchführen. Im Laufe des Tages funktionierten die Geräte auf dem Messestand weitgehend so wie sie es sollten.

Dies zeigt, was mit einem zähen und gut motivierten Team erreichbar ist. Jeder kann sich wahrscheinlich vorstellen, wie wir uns fühlten als wir die positive Nachricht von der Messe erhielten. Sicherlich auch bedingt durch diesen Erfolg wurde die Verantwortung für die Entwicklung zukünftiger GSM-Endgeräte vom Management des neuen Mutterkonzerns dem Standort Ulm übertragen. Die Zukunft des digitalen Mobilfunks hatte begonnen und wir waren dabei.

 


Über den Autor Manfred Ender:
Dr. Manfred Ender war von 1989 bis 1998 der Entwicklungsleiter für Mobile Endgeräte der AEG Mobile Communications am Standort Ulm.