Vom Chaos zu neuer Weltgeltung
Wie die Firma Telefunken nach der Kapitulation 1945 wieder auf die Beine kam
Die Firma Telefunken wurde 1903 von den Firmen Siemens und AEG gegründet. Dabei hatte Kaiser Wilhelm II seine Hand entscheidend im Spiel, wie folgende – nicht mehr belegbare – Anekdote erzählt:
Der Kaiser, bekanntermaßen ein Marinefan, schipperte mit seiner Staatsyacht „Hohenzollern“ in der Nordsee, vermutlich vor der englischen Küste. Er wollte ein Telegramm nach Berlin funken. Und nun begann das Desaster: Der Kaiser konnte nur eine englische Marconi-Küstenfunkstelle erreichen, das war schon schlimm, was aber noch schlimmer war – und für einen Deutschen Kaiser kaum zu ertragen – von der Marconistation wurde er abgelehnt. Unglaublich! Wütend fuhr er nach Berlin zurück und bestellte die Herren von Siemens und AEG ein und beauftragte sie, eine „deutsche Marconi“ zu gründen. Und so wurde „Telefunken“ aus der Taufe gehoben.
Der Firmensitz war natürlich Berlin. Bereits nach wenigen Jahren war die Firma weltbekannt, vor allem wegen den richtungsweisenden Aktivitäten auf dem Gebiet der Sendertechnik. Im zweiten Weltkrieg war Telefunken ein kriegswichtiger Betrieb.
Bei Kriegsende 1945 lag Berlin in Schutt und Asche. So auch mehrere Werke von Telefunken. Das Hauptwerk in Zehlendorf allerdings nicht. Das hatten die Russen besetzt und demontiert; später wurde es das amerikanische Hauptquartier.
Die verbliebenen Telefunken Mitarbeiter wollten wieder in Arbeit und Brot kommen. Man suchte in den Trümmern nach Raum, Werkzeug und Material. An den Bau von elektronischen Geräten war nicht zu denken. Auch die scharfen Kontrollratsgesetze verboten fast alles. Unter primitiven Bedingungen baute man Feuerzeuge und Schubkarren. Das war machbar und der Bedarf war riesengroß.
Im Keller eines zerbombten Röhrenwerkes fand man Glasrohlinge für Elektronenröhren. Natürlich konnte man keine Elektronenröhren bauen, aber man musste aus allem etwas machen. Not macht bekanntlich erfinderisch und die Glasrohlinge wurden zu Trink- und hauptsächlich zu Schnapsgläsern umgeformt. Auch hier war der Bedarf riesengroß!
Später baute man auch wieder einfache Radios, sogar einfachste Detektorempfänger. (Noch später erhielt man die Erlaubnis für serienmäßig hergestellte Radios. Diese in den entbehrungsreichen Jahren 1945 bis 48 gebauten Geräte liefen später unter dem Sammelbegriff Notradios - gleichgültig von welchem Hersteller.)
In diesem beklagenswerten Zustand der Firma Telefunken kam im Januar 1946 folgende unerwartete Anfrage:
W.T. Runges Erinnerungen an den ersten Senderauftrag nach dem Zweiten Weltkrieg.
Im Januar 1946 erschien bei Telefunken in Berlin-Schöneberg eine sowjetische Militärkommission mit der Anfrage, ob die Firma bereit sei, einen 100 kW-LW-Rundfunksender in Auftrag zu nehmen. Der für die Produktion zuständige Max Pohontsch beriet sich mit den anderen maßgebenden Herren — mit Heymann, Runge, Nestel, Pohle und Graßnik. Angesichts der in jenen Tagen notgedrungen »artfremden« Fertigung von Feuerzeugen und Schubkarren bestanden anfangs begründete Zweifel an der Realisierungsmöglichkeit. Runge schrieb hierzu in seinen Erinnerungen:
»Es war uns peinlich, zuzugeben, daß die große alte Firma so etwas nicht könnte, und so erklärte Pohontsch, ja, das könnten wir wohl, aber wir brauchten dazu eine Starthilfe: Lebensmittel für unsere Mitarbeiter während der Bauzeit, Transportmittel und einen Offizier mit der Befugnis zur Beschlagnahme benötigten Materials für uns, und schließlich eine Anzahlung in Höhe von 50 %, also RM 500.000,—. Halb hofften wir, daß die Russen auf diese Forderung nicht eingehen würden, aber sie sagten ganz ungerührt: Schön. Militärportionen für wieviel Mann? 500? Gut. Drei Lastwagen und ein Major mit Vollmacht, reicht das? 500.000,- Mark Anzahlung? Iwan, hol mal den Koffer mit dem Geld herauf!
Und da saßen wir nun. Immerhin mußte sich ja damit etwas anfangen lassen. Aber, sagten die Russen, Termin für die Übergabe ist der 15. August dieses Jahres, und wenn der nicht eingehalten wird, dann ist das Sabotage, und dann werden Sie alle abgeholt, wie Sie hier sitzen. Darauf guckten wir uns an, schluckten ein paar mal, aber der unerschütterliche Pohontsch sagte schließlich zu, obwohl wir auch in den besten Zeiten niemals für einen 100 kW-Sender eine Bauzeit von sieben Monaten hatten einhalten können.
Es wurde die schönste Zeit meines Telefunkenlebens. Die übrigen Fertigungen wurden abgetrennt und mit Lebensmitteln, Geld und Requisitionsmöglichkeiten eine Organisation aufgezogen, die nur für diesen einen Auftrag arbeitete. Nichts kam dazwischen, alles arbeitete Hand in Hand. Zunächst das Berechnungsbüro, dann das Konstruktionsbüro. Dann kamen Werkstatt und Beschaffung. Betriebsleiter, Meister und Mechaniker waren das einfachste aus unserem alten Personalbestand. Werkzeuge und Werkzeugmaschinen wurden gefunden, beschlagnahmt und instandgesetzt, und in Räumen in der Sickingenstraße wurde die Werkstatt eingerichtet. Viele Bauteile hätten wir noch gar nicht herstellen können, wußten aber, wo dergleichen herumlag, der große Modulationstransformator zum Beispiel, und Wasserkühlröhren, die beim Einmarsch versteckt worden waren. Die Firma wuchs auf 500 Mann, der Sender war am 15. Juli in Königs Wusterhausen fertig montiert und wurde von uns vier Wochen lang zur Probe gefahren, bis zur offiziellen Übergabe am 15. August 1946. Die Masten standen noch, an denen wir die Antenne aufhängten.
Inzwischen waren nicht nur Verwaltung, Personalbüro und Lohnbüro entstanden. Im Westen hatte es sich herumgesprochen, daß wir 100 kW-Sender bauten, und aus der englischen Zone, wo man den Rundfunk neu aufbaute, kamen von der dortigen Besatzungsmacht Anschlußaufträge auf zwei 100 kW-Sender, fünf 20 kW-Sender und fünf 5 kW-Sender. Unsere Auftragsmappe war gefüllt. Telefunken war nicht tot, es lebte wieder.«
(Bericht von einem der dabei gewesen: Prof W.T. Runge, später Leiter des Telefunken Forschungsinstituts in Ulm,
Quelle: Telefunken nach 100 Jahren von Erdmann Thiele ISBN 3-87584-961-2,
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Nicolai Publishing & Intelligence GmbH
Bildnachweis, Quelle: TELEFUNKEN-ZEITUNG, Jg. 26, Heft100, Mai 1953)