Meine Geschichte vom KW-Anton und dem Prager Frühling

Wir schreiben das Jahr 1968. Ein Jahr in Aufruhr, das später als die "68er" in die umgangssprachliche Beschreibung dieser Zeit eingehen wird.

Als "frisch gebackener" Radio-und Fernsehtechniker in einer hessischen Kleinstadt war ich "weit weg vom Schuss" geopolitischer Ereignisse und sollte mich doch schlagartig in einem wieder finden, das als "Prager Frühling" in die Geschichts-schreibung einging.

Seit 1967 habe ich das Hobby, als Funkamateur auf dafür zugelassenen Kurzellen- und UKW- Frequenzbereichen aktiv zu funken. Funkstationen waren damals eine aufwendige und auch teure Angelegenheit und demzufolge hatte ich eine Ausrüstung, die meinen damaligen Einkommensverhältnissen angepasst war.
Als Kurzwellensender hatte ich einen kleinen Geloso Steuersender Typ G4/104 bestückt mit zwei Röhren (max. 5 Watt HF), der gerade ausreichte, um Funkverbindungen über Morsezeichen aufzubauen. Die Antenne war ein einfacher Kupferdraht, provisorisch gespannt vom vom Fenster meines Zimmers zu einem Baum am Grundstücksende. Glücklicherweise fanden die Mitbewohner im Haus keinen Anstoß daran, bzw. erkannten die Bedeutung des dünnen Drahts zu meiner Funkwelt nicht.

Im UKW Bereich tat es ein ausrangiertes Taxifunkgerät der Fa. Siemens (Modell W2), umgebaut auf das für Funkamateure genehmigte 2m Band, auf 145.500 MHz, der Frequenz meines damaligen Ortsverbandes. Der Kurzwellen Empfänger jedoch war ein Gerät der besonderen Klasse, das ich, von einem Funkamateur älteren Jahrgangs fast geschenkt bekam. Mit stattlichen Abmessungen und 38 kg Eigengewicht!


Dieser Empfänger wurde unter dem Namen "Anton" (siehe Kurzwellenempfänger "Anton" (Typ E 454 Bs)) ab 1938 von Telefunken/Ulm entwickelt. Die Einsatzbestimmung lag in der militärischer Kommunikation in den Bereichen 980 kHz bis 10200 kHz, aufgeteilt in 5 Bändern, deren Auswahl über einen wuchtigen Trommelschalter laut hörbar einrastete. Auf dem Typenschild war das Herstellerjahr 1941 eingestanzt. Das separate Netzteil (NA6a) brachte auch noch mal ca. 10 kg auf die Waage. Hier konnte ich technisch zumindest, mit den Pfunden wuchern!

Die Geschichte mit dem Prager Frühling.

Am 21. August 1968, einem Mittwoch, saß ich vormittags an meiner Funkstation und drehte über die Frequenzen von 7000 - 7100 kHz, dem damaligem Amateurfunkband 40m Band. Die Empfangsbedingungen waren relativ gut, viel Funkverkehr aus Nord- und Ost-Europa war vernehmbar. Beim wiederholten Durchdrehen der Frequenzskala war plötzlich eine außergewöhnliche Situation spürbar:

Funkamateure mit der Landeskennung CSK, das damals geltende Amateurfunk Rufzeichen der Tschechoslowakei, waren plötzlich laut und eindringlich vernehmbar. Innerhalb weniger Minuten war das ganze Band mit tschechoslowakischen Amateurfunkstationen belegt. Deren Ansage ich zunächst nicht verstand, wohl aber die anschwellende Aufregung. Diese war deutlich spürbar und löste in mir Unruhe gepaart mit erhöhter Aufmerksamkeit aus. Es war von mir noch nicht einzuordnen. Bis eine klare Stimme in englischer Sprache sich aus dem Rauschen und Prasseln im KW Band verständlich machte:

"This is Prag, a radioamateur station from Prag is calling: Please keep the frequencies clear: russian troups are about to occupy our country ..“
...with heavy tanks, please hear us and spread this all over the world, we are attacked by russian troups. Please keep the frequencies clear!"


Zwischenbemerkung:

Den Wortlaut, so wie oben beschrieben, habe ich nur noch ungefähr in Erinnerung. Hier in Kurzform der Hintergrund dieser historisch einmaligen Situation:
Was in Prag, bzw. der damaligen Tschechoslowakei politisch anstand, war schon seit Wochen immer wieder in Presse und Rundfunk zu lesen und hören. Mit stetig wachsender Sorge, aber auch Hoffnung, wurde der Befreiungsversuch der tschechischen Regierung aus der Herrschaft der Sowjetunion unter dem regierenden Präsidenten Dubcek aufmerksam verfolgt. Das Geschehen am Morgen des 21.08.1968 kam also nicht von ungefähr. Presse, Rundfunk- und Fernsehanstalten (ARD und ZDF) berichteten bereits am Vortag über Ansammlungen russische Verbände vor der Ostgrenze der Tschechoslowakei. Die kurze Phase des politischen Unabhängigkeitskampfes ging als  "Prager Frühling" in die Geschichte ein. (Obgleich es Sommer war, der Begriff ist politisch zu interpretieren).


Zurück zu dem Moment an diesem Mittwochmorgen:

Instinktiv schaltete ich das Tonbandgerät ein und über das angeschlossene Mikrofon startete die Aufnahme. Parallel dazu setzte ich meine UKW Station in Betrieb und stellte fest, Funkamateure in unserem Ortsverband haben den Funkverkehr ebenfalls registriert.

Inzwischen mehrten sich von (west) deutscher Seite die Anzahl der QSO’s, also der Funkverbindungen im Kurzwellen Amateurfunkbereich.
Die tschechoslowakischen Funkamateure stellten den Funkbetrieb fast vollständig auf deutsche Sprache um und nahmen so Kontakt mit westdeutschen Funkstationen auf. Funkamateure der damaligen DDR waren nicht aktiv vertreten, weil viele der Funkstationen unter der Flagge der staatlich organisierten Gesellschaft für Sport und Technik (GST) liefen. Die damit verbundene politische Überwachung ließ eine
aktive Kontaktaufnahme nicht zu, bzw. war mit sich anschließender politischen Verfolgung verbunden.

Jetzt begann eine dramatische Phase im Ablauf dieses Tages:
Im westdeutschen Funkraum verbreitete sich der russische Überfall naturgemäß sehr schnell, und nicht nur in den Kurzwellenbereichen. Viele Funkamateure wurden so Zeitzeugen eines Ereignisses, das sofortige Funkkontakte auslöste, denn Rundfunkstationen im besetzten Gebiet waren sehr schnell besetzt oder abgeschaltet, Telefonverbindungen unterbrochen.

Über meinen KW-Empfänger Anton wurde ich ebenso Zeuge, das sich Familienangehörige aus der Tschechoslowakei in der Bundesrepublik aufhielten. Sie versuchten telefonisch Kontakt zu ihren Familien aufzunehmen, jedoch vergeblich. Somit verblieben wir Funkamateure als einzige Möglichkeit, die Kommunikation zwischen den von ihrem Heimatort abgeriegelten Personen und den Funkamateuren auf der tschechoslowakischen Seite herzustellen. Teilweise geschah das in Kombination über Telefon/Amateurfunkstation, sog. Patches. Telegrammartig wurden Botschaften aufgenommen und weitergegeben oder es kam zu direkten Funkgesprächen zwischen den Familienmitgliedern.
Aus unserer Stadt z.B. gelang es auf diese Art, zwischen den Gastspielern einer Tischtennismannschaft und ihren Familien im Prager Raum direkt Verbindung aufzunehmen. Ich verstand kein Wort, empfand es aber fast dramatischer als die Kubakrise Jahre zuvor, weil es persönlicher war und nicht so anonym, wie die Berichterstattung über die russischen raketenbeladenen Frachter auf dem Weg nach Kubas, vor der amerikanischen Küste Floridas.

Wenige Stunden später war die Messe gelesen. Als erstes setzten massive Störungen des Amateurfunkbandes ein, mein KW-Anton war voll gefordert, die Störungen durch Setzen der Filtervorrichtung zu verringern. Was jedoch zu begrenztem Erfolg führte, da der gesamte Funkverkehr auf Amplitudenmodulation (AM) lief. Dann häuften sich die Rückzugmeldungen. Russische Peileinheiten hatten verschiedentlich Signale geortet und gingen auf ihre Art vor, den Funkbetrieb zu unterbinden… Deutsche und englischsprachige Hilferufe waren bis zuletzt zu hören.

Es war wohl ein bisschen so, wie auf der Titanic. Eine dramatische Situation lief aus der Kontrolle und ich war Zuhörer, live und unplugged…Danach zunehmend Funkstille, bedingt durch das brutale Durchgreifen der sowjetischen Besatzer.Gegen Mittag des 21.08.1968 waren die  Kontakte bzw. Funkmeldungen über das Geschehen nur noch sporadisch zu hören.

Der Rest ist Geschichte....



Schlussbemerkungen:

Die Ereignisse sind aus meiner Sicht so abgelaufen, wie geschildert.
Die Tonbandaufnahmen gingen leider sehr viel später bei einem Umzug verloren.
Das Kernstück meines Erlebnisses, der KW-Anton ist nicht mehr in meiner Sammlung.

 Es berührt mich heute noch, wie ein Land ein anderes in unmittelbarer geografischer Nähe überfallen kann, ohne dafür belangt werden zu können. 

Andreas Fechter

(STeP Vorstandsmitglied)