Der "Knalleffekt" von 1948 in Berlin-Tegel

Auch die Technik ist Spiegelbild der Zeitgeschichte. Dies zeigt das Beispiel des 1933 - noch im Auftrag der Berliner »Funk-Stunde AG« - in Betrieb genommenen 100 kW-MW-Senders in Berlin-Tegel.

Die Nationalsozialisten nannten diesen Sender ab 1934 »Reichssender Berlin«. Er sendete bis zum späten Abend des 22. April 1945, zuletzt allerdings kaum mehr als Durchhalteparolen. Am nächsten Tag wurde die Station fast unbeschädigt von Einheiten der Roten Armee übernommen. Deren Stadtkommandant Nikolaj Bersarin befahl bereits zwei Tage nach der bedingungslosen deutschen Kapitulation vom 8. Mai 1945, den Sender für die aus Moskau nach Berlin eingeflogene »Gruppe Ulbricht« betriebsbereit zu machen, damit die kommunistisch orientierten Propaganda-Sendungen für die Viermächtestadt Berlin und die Sowjetische Besatzungszone aufgenommen werden konnten. Die im französischen Sektor von Berlin unter sowjetischer Kontrolle stehende Sendestelle erhielt ihr Programm aus dem im britischen Sektor gelegenen »Haus des Rundfunks« am Funkturm, das ebenfalls unter sowjetischer Verwaltung stand.

Als während der sowjetischen Blockade von West-Berlin 1948/49 dringend ein dritter Flughafen für die Luftbrücke benötigt wurde und man in Tegel mit den Bauarbeiten begann, ließ der französische Stadtkommandant General Jean Ganeval die zwei den Flugbetrieb behindernden Antennen des Senders, darunter einen im Aufbau befindlichen bereits 120 m hohen Stahlrohrmast, kurzerhand sprengen. Auf die empörte Frage des sowjetischen Generals Alexander G. Kotikow, wie er das nur habe tun können, antwortete General Ganeval mit den Worten: »Mit Dynamit, Herr General!«

Daraufhin ließen die Sowjets nun ihrerseits den zugehörigen Telefunken-Sender in Tegel, seiner Antennen beraubt, von über einhundert aus Königs Wusterhausen stammenden Arbeitskräften in größter Eile abbauen und mit Lastwagen auf den Königs Wusterhausener »Funkerberg« bringen. Dort fand dieser Sender - ebenso wie der im Auftrag der Sowjetischen Militäradministration nach sieben Monaten gelieferte erste Telefunken-Nachkriegssender von 1946 - bis zur deutschen Wiedervereinigung 1990 als Reservesender der DDR Verwendung.

Die beiden - inzwischen abgeschalteten - Anlagen stehen heute im Sender- und Funktechnikmuseum Königs Wusterhausen, noch versehen mit einem aus der DDR-Zeit stammenden Schild: »Eigentum des Volkes«.

Die Sprengung der Antennen des Senders von Tegel im Dezember 1948: ein »Knalleffekt« zu Beginn des Kalten Krieges zwischen Ost und West.

 

Quelle: Erdmann Thiele TELEFUNKEN nach 100 Jahren ISBN 3-87584-961-2 (2003),
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung durch die Nicolai Publishing & Intelligence GmbH, Berlin